Unmittelbarkeit bezeichnet in der philosophischen Tradition etwas, was keiner weiteren erklärenden Begründung bedarf und sich von selbst versteht, also unmittelbar einleuchtet. Dialektisches Denken bricht diese Selbstverständlichkeiten auf, indem es auch die Kategorie der Unmittelbarkeit vermittelt; die dialektische Kritik der Unmittelbarkeit ist Aufklärung im Begriff, die das Gegebene nicht fraglos hinnimmt. Dies wird im Rückgang auf die Geschichte des Begriffs dargelegt. Ihren Wendepunkt hat diese Geschichte bei Hegel, der den Schein der Unmittelbarkeit aufzeigt, indem er Unmittelbarkeit selbst als vermittelt erweist. Hieran knüpft Marx an, wenn er mit und gegen Hegel ein Konzept gegenständlicher Vermittlung entwickelt. Damit springt er aus dem Gleis der nachhegelschen Philosophie, die - wie auch Feuerbach und andere Junghegelianer - gegen Hegel wiederum unvermittelte Unmittelbarkeiten aufbietet. Die gegenständliche Vermittlung in realwissenschaftlichen Kontexten, wie z. B. in der Kritik der politischen Ökonomie, zeigt jedoch gegenüber der Bewegung des Begriffs in Hegels Wissenschaft der Logik auch Grenzen der Vermittlung auf: bestimmte Gegensätze, so Marx, könnten nicht vermittelt, sondern es könne nur ihre Existenzgrundlage abgeschafft werden, so z. B. der Gegensatz von Lohnarbeit und Kapital. Hegels und Marx' Kritik der unvermittelten Unmittelbarkeiten erweist sich, so die zentrale These des Buches, bis in die Gegenwart als aktuell; sie ist Kern dialektischer Kritik an der scheinbaren Selbstverständlichkeit des Bestehenden. Andreas Arndt ist Professor für Philosophie an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin; er ist seit 1992 Präsident der Internationalen Hegel-Gesellschaft e. V.
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