Während die gesellschaftliche Realität in den sogenannten westlichen Industriestaaten durch die zwar immer wieder unterbrochene, aber insgesamt kontinuierliche Erweiterung der Gleichheit geprägt war, wurden dem nach wie vor abstrakt formulierten Rechtsbegriff der Gleichheit durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung werthafte Inhalte imputiert, die in einem keineswegs friktionslosen Verhältnis zur gesellschaftspolitischen Entwicklung standen. Die zunächst ganz rein und regelhaft gedachte "Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz", wurde den Anforderungen der Gesellschaft offensichtlich nicht gerecht. Aus dem definitiven Gebot der "bloßen" Rechtsanwendungsgleichheit wurde rasch etwas ganz anderes – das heute ganz unbeschwert anerkannte Prinzip der Rechtsetzungsgleichheit. So ist der Gleichheitssatz heute ein Optimierungsgebot geworden. Eine Norm zwar noch, aber eine solche doch, die gebietet, daß etwas in einem relativ auf die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten bezogenen möglichst hohen Maß realisiert wird. Das aber bedeutet, daß die Gleichheit vor dem Gesetz heute in ganz unterschiedlichen Graden erfüllt werden kann, und es bedeutet weiters, daß das gebotene Maß der Erfüllung der Norm: "Alle Bundesbürger sind vor dem Gesetz gleich" (Art. 7 Abs. 1 B-VG) dann jeweils von rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten abhängig gemacht wird. Die "Kontamination" des genuin juristischen Begriffs von "Gleichheit vor dem Gesetz" durch diese rechtlichen und tatsächlichen Anforderungen und durch die realen (oder auch bloß eingebildeten) Beschränkungen der Wirklichkeit ist ein zwar immerhin gesehener, aber kaum diskutierter Zentralaspekt der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) zum Gleichheitssatz. In diesem Umstand liegt das Motiv der Untersuchung.
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